Über die stumpfe Blödheit der meisten Sexfilmchen konnte unsere Autorin bislang nur müde lachen. Dabei kann ein Perspektivwechsel äußerst befreiend wirken. Eine Reise zum Dreh nach Kalifornien. Von Paula Lambert
Ich mochte Pornos noch nie. Das hat viele verschiedene Gründe. Zum einen hat mich das Offensichtliche nie erregt. Zum anderen, das ist möglicherweise ein Berufsdefizit, kann ich die mangelhaft geschriebenen oder improvisierten Dialoge einfach nicht ertragen.
Als Beispiel möchte ich ein sehr bekanntes Video, fast einen Klassiker, anführen. Es zeigt Folgendes: Eine Dame im Negligé führt einen Mann mit Sturmmaske und Basecap in eine Ecke mit einem Verteilerkasten. Unter dem Verteilerkasten liegt sehr viel Stroh. Dann sagt sie: „Ja, das ist der Verteilerkasten, mit dem wir immer Probleme haben. Vielleicht können Sie sich den mal angucken.“ „Gern“, sagt er, „aber warum liegt hier Stroh?“ „Warum hast du ’ne Maske auf?“, fragt sie zurück, plötzlich zum „Du“ gewechselt. „Hmm, pff“, darauf er, „Na, dann blas mir doch einen.“
Also wirklich. Erstens: Wer würde schon einen Elektrotechniker mit Sturmmaske ins Haus lassen, es sei denn, man lebte in Alaska oder an einem anderen Ort, an dem es draußen sehr, sehr kalt ist. Dann wiederum würde man dort vermutlich nicht in Dessous herumstapfen, schon gar nicht mit einem unzuverlässigen Verteilerkasten ? das ist doch kalt! Zweitens ist es unhöflich, auf eine Frage mit einer Gegenfrage zu antworten, die noch dazu gänzlich vom Thema abweicht. Sie hätte sagen müssen: „Weil ich gern Sex unter dem Verteilerkasten habe“ oder „Weil ich mich gern von Elektroinstallateuren durchrappeln lasse“. Dann hätte nämlich seine Erwiderung total Sinn gemacht! Aber so, nee, das stört mich. Zumal die beiden die sexuelle Spannung einer abgebrannten Glühbirne haben.
Ich stehe mir selbst im Weg. Anspruch ist ja meistens schwierig, zum Beispiel beim Fernsehgucken. Oder beim Betrachten sexueller Tätigkeiten, wobei ich immer gesagt habe: Selber Sex zu haben ist tausend Mal besser. Warum soll man sich mit solch faden Nichtigkeiten abgeben? Und ja, natürlich: Der Plot ist in Pornos nicht wichtig. Sagen die Männer. Darum konnte ich dem durchschnittlichen Zeug bislang auch nichts abgewinnen. Mechanisch kopulierenden Menschen beim Rein-raus-Spiel zuzugucken, erregt mich nicht im Geringsten.
Das heißt, natürlich schon: auf eine ebenso mechanische, vom Gehirn gesteuerte Art, die allein der Triebabfuhr dient. Triebabfuhr ist aber zu 95 Prozent sexueller Schrott und vollkommen uninteressant ? wenn man die Wahl hat.
Ich mochte immer Filme, die die Fantasie anregen. „Der Mann der Friseuse“ zum Beispiel. Hinreißend. Wie sie im Salon steht und einem Herrn die Haare schneidet, während ihr Mann, getränkt von Leidenschaft für seine Frau, ihr langsam die Beine emporstreicht und seine Händen unter ihrem Rock verschwinden, wie ihr dann der Atem stockt und sie versucht, so zu tun, als sei nichts, weil ja noch der Kunde da sitzt ? das sind Filme, die einen ins Bett bringen. Oder „Secretary“, wo Maggie Gyllenhaal ihre masochistische Seite entdeckt und beginnt, absichtlich Fehler zu machen, damit ihr Chef sie züchtigt. Großartig, mehr davon! Geist und Körper vereint, das erotisiert mich ungemein. Aber für viele meiner männlichen Freunde reicht es, wenn man einen Penis sieht, der sich mit der Frequenz eines Presslufthammers in Frauen bohrt. Mir trocknet bei dem Anblick alles aus.
Am schrecklichsten finde ich, dass Jugendliche sich diesen Mist ansehen und dann tatsächlich glauben, dieses Gerödel habe etwas mit Sexualität zu tun. Ich bemitleide alle, die derart gewappnet ins Leben stoßen; es muss frustrierend und beschämend sein, und zwar für die Jungen und die Mädchen. Und es macht die Seele kaputt, das glaube ich nach wie vor. Zu viel Grobheit, zu wenig Empathie. Sex ist so viel mehr als nur das Aufeinanderprallen von Geschlechtsorganen.
Das alles bedeutet aber nicht, dass ich mir das Spiel nicht aus erster Hand erklären lassen kann. Also reise ich nach Kalifornien, in das Zentrum der Pornofilm-Industrie. Anschließend sehe ich mir eine Menge Pornos an, manche gut, manche blöde. Aber alle sind irgendwie lehrreicher, als ich erwartet hatte.
Ein bisschen erwartbar ist zunächst der Besuch an einem Mainstream-Set in Los Angeles. Mainstream bedeutet: Mann übermannt Frau, Frau ist dankbare Empfängerin seiner Körpersäfte. Wenig Gequatsche, viel Gevögel. Maximale Stimulation. Der Plot des Films, der hier gedreht wird, ist also denkbar simpel und ein einziges Klischee: Eine weiße, blonde Frau dümpelt mit geschlossenen Augen in einem Jacuzzi. Drei dunkelhäutige Männer mit enormen Penissen, offenbar auf dieses Merkmal hin gecastet, stehen plötzlich nackt und vögelbereit am Pool.
Der Regisseur ruft der Frau zu: „Jetzt tu mal überrascht und ruf irgendwas, was man dann halt ruft. Und dann sagt ihr, dass ihr irgendwas mit ihr vorhabt.“ Heidi, so der Name der Dame, schlägt also die Augen auf und ruft: „Huch, wer seid denn ihr?“ Darauf der eine: „Wir sind deine Nachbarn. Wir sind hier, um die interrassische Kommunikation zu verbessern.“ Das, finde ich, ist dann doch eine ganz gelungene Antwort. Nicht zu platt, irgendwie tiefsinnig und politisch. Hätte dann nicht Heidi, ganz im Stroh-Verteilerkasten-Sinne, gerufen: „Ach, herrjemine! Ich liebe Schwänze!“ Es folgt ein zweistündiges Gerammel mit sehr vielen Stellungswechseln.
In meiner Vorstellung waren Pornodrehs immer eine freudlose Angelegenheit, bei denen mit Drogen gefügig gemachte Darsteller ihr Programm abspulen, um sich anschließend gramgebeugt in ihre versifften Behausungen zurückzuziehen. Hier jedoch macht sich Heiterkeit breit. Während der Szenenwechsel unterhalten sich die Darsteller angeregt über Football oder die neuesten politischen Entwicklungen, die Männer bewahren sich währenddessen manuell die Steifheit ihrer Penisse, um gleich wieder einsatzbereit zu sein.
Heidi erklärt, dass sie sowieso gerne Sex hätte und hier gutes Geld verdient. „Ich mache nichts, was ich privat nicht tun würde, und suche mir meine Co-Darsteller selbst aus“, sagte sie. Sie ist 21 und stammt aus dem Mittleren Westen, für sie ist das Ganze ein Spiel ohne Bedeutung, sie will einfach nur schnell ein bisschen Geld machen. 200.000 Dollar im Jahr für ein paar Drehtage, das ist okay, meine ich, solange man das Ganze freiwillig tut.
Ich reise weiter nach San Francisco, wo die Darstellerin und Regisseurin Madison Young lebt. Sie macht feminist porn. Feministischer Porno gibt Frauen eine aktive Rolle, stellt die weibliche Sexualität in den Vordergrund und zeigt, welche Spielarten und welche Genussmöglichkeiten es gibt. Ein bisschen so, als würde man Dr. Sommer sehr viel weiterdrehen ? durch gemeinsames Vögeln zum Glücklichsein.
„Sexualität ist so ein großer Teil des Lebens“, sagte Madison, „und es gibt so viele Leute, die keinen Zugang zu Sex oder ihren eigenen Bedürfnissen haben. Vernünftige Pornos sind nicht weniger als Aufklärungsarbeit. Wir zeigen den Leuten, was möglich ist. Welche schlummernden Bedürfnisse sie vielleicht haben und dass es völlig okay ist, sie auszuleben.“ Denn eines ist gewiss: Es gibt viele Menschen, die keine Ahnung von ihren Wünschen haben.
Porno spielt im Leben von Young eine große, eine politische Rolle. Ihren Mann hat sie auf dem Porno-Set kennengelernt, die Patentante der gemeinsamen Tochter ist die Sexaktivistin Annie Sprinkle. Sprinkle, früher selbst Darstellerin, gab schon lange vor Madison Young die Devise aus: „The answer to bad porn isn’t no porn, but to make better porn.“ Also hat sie sich für bessere Pornos eingesetzt. Sie gilt als Begründerin der post porn-Bewegung, die sich um eine gesunde Körperwahrnehmung und eine gender-offenere Darstellung in Sexfilmen bemüht. Im Grunde geht es um mehr Vielfalt und Gleichberechtigung in der sichtbar gemachten Sexualität. Egal welcher Spielart.
Madison Young ist Anhängerin des sex positive feminism, der für die Gleichstellung sexueller Bedürfnisse bei Mann und Frau kämpft. Darüber hinaus ist sie auf Bondage spezialisiert, sie sagt Dinge wie: „Schmerz ist nur eine Sinneswahrnehmung, nichts, wovor man Angst haben muss.“ In ihrem Schlafzimmer liegen meterweise Juteseile. Jute, weil sie sehr auf die Umwelt achtet.
Am Ende meines Ausfrage-Besuchs bei ihr gibt sie mir einen Stapel ihrer Filme mit, bei vielen davon hat sie Regie geführt. Optisch erinnern sie an die 90er-Jahre, sie sind poppig, bunt und scharfkantig. Die Bandbreite der Protagonisten reicht von wilden Kuriermädchen bis zu ganzen Studiengruppen, die sich gegenseitig erforschen. Die Techniken sind nicht weiter spektakulär. Es geht vielmehr darum, wie verschiedene Menschen ganz verschiedenen Sex haben.
Das Interessante findet bei mir im Kopf statt: Plötzlich betrachte ich Pornos mit ganz anderen Augen. Ich sehe kein hirnloses Rumgebumse, sondern Experimente. Ich sehe ein paar vor der Kamera ausgeführte, mitunter auch ungelenke, aber immer einladende Versuche, die eigene Sexualität zu entdecken und zu verstehen.
Wenn es darum geht, durch Pornografie sich selbst zu entdecken, können Youngs Filme ? anders als die von Heidi ? weiterhelfen. Ich kenne zum Beispiel viele Menschen, die sich eine Befreiung aus dem moralischen Korsett wünschen, in dem sich ihre Beziehung befindet. Der pure Konsum von Triebabfuhrhilfen gibt da kaum Impulse. Wohl aber Plots, bei denen es sich durchaus lohnt, die eigene Sexualität zu hinterfragen. Wäre SM etwas für mich? Wie steht es um Sex mit einem Menschen gleichen Geschlechts? Und könnte ich meinem Partner gestatten, mit einem anderen Menschen intim zu werden? Um Madison Young zu zitieren: „Es ist schließlich nur Sex, nicht das Ende der Welt.“
Mehr Spaß durch Porno, das geht prima. Es kommt eben immer auf den Blickwinkel an. Nur die passenden Dialoge, fürchte ich, die muss man sich selbst schreiben.
Paula Lambert ist Sexkolumnistin und Schriftstellerin.
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