Willkommen in der Ära der selbstsicheren und kultivierten Frauen! Willkommen in einer Zeit, in der die Nonchalance von Luxus den Luxus erst bestehen lässt und in der Designer Sinnlichkeit mit Seele vereinen. In diesem Herbst werden Tweed-Jacken und Kaschmir-Cardigans über die Schulter geworfen, Pelz, Lack und Leder schmiegen sich an den Körper.
Die moderne Frau ist im Aufbruch, lässt dabei den Film Noir der 50er-Jahre wiederaufleben, als Schauspielerinnen in Hollywood erstmals als Verführerinnen auftraten. Stilvorbilder wie Joan Crawford in „Solange ein Herz schlägt“, Lana Turner oder Gene Tierney ? heute allerdings mit mehr nackter Haut.
Ihr deutsches Äquivalent ist Barbara Sukowa, bekannt aus Fassbinders Film „Lola“, die als kluge Kurtisane den verklemmten Bauaufsichtsbeamten Armin Mueller-Stahl verführt. Eben noch wirkt sie elegant in einem schwarz-weißen Frack aus getrimmtem Fuchsfell und im nächsten Moment trägt sie ein rotes Negligé.
Nach einigen Saisons, die modisch von schmalen Mode-Bloggerinnen bestimmt wurden, deren Durchschnittsalter bei Ende 20 lag sowie von It-Girls, die nicht während sondern außerhalb der Schauen fotografiert wurden, haben in diesem Herbst nun die erfahrenen Damen das Sagen.
Es ist kein Zufall, dass die wichtigsten Vertreter dieses erwachsenen Stils überwiegend Frauen sind ? Miuccia Prada, Phoebe Philo (Céline) oder Consuelo Castiglioni (Marni). Sie alle sind auch Mütter, deren Kinder stolz in ihren Shows sitzen.
Im Februar 2013 erklärte Miuccia Prada das Bühnenbild ihrer Herbstkollektion: Es zeige „die Macht der Romanze, ihr Drama und unser Verlangen danach“. Das von Rem Koolhaas gestaltete Setting beeindruckte mit Schattenspielen von Vögeln und Katzen, mittendrin liefen die romantischen Heldinnen über einen von Arkaden und langen Vorhängen gesäumten Laufsteg und posierten vor Marmorsäulen.
Die Models zeigten karierte Wollkleider und eng taillierte Mäntel im Stil der Nachkriegs-Ära. Sie trugen die verblasste Vornehmheit eines schulterfreien Cocktailkleides. Und am Ende wehte ein Hauch von Aristokratie durch den Raum: Die Models trugen Negligé-Kleider mit Nerzmänteln, zurückgelegte Haare und anrüchig-rot geschminkte Lippen. Dazu ertönte bedrohlich wirkende Kirchenmusik ? und donnernder Beifall.
Beim Label Marni sind selbst die Sandaletten dieses Jahr aus Fell, die Handschuhe aus Biber. Consuelo Castiglioni hat praktisch ihre gesamten Entwürfe mit Tierhäuten verziert. Am hervorstechendsten waren die kontrastreichen Schichten aus olivfarbenem Nerz und braunem Biber.
Mit der Entscheidung für Fell erklärten sich Marni, Prada und Fendi gegenseitig den modischen Kampf. „Fell ist Fendi und Fendi ist Fell“ schrieb Karl Lagerfeld in seinen Skizzen, die in Fendis Show-Programm lagen.
Und wenn man schon von bloßer Eleganz spricht: Die Serie von Halbmänteln aus gestreiftem Fuchsfell und Sellier-Leder war ein mit Bravur bestandenes Experiment. „Flüssiger Kubismus“ warf Karl Lagerfeld lächelnd den Fernsehteams entgegen, die hinter der Bühne auf ein Interview mit ihm hofften.
Auch für die nächsten Shows ist die Leidenschaft für Pelz zu erwarten. Noch vor 20 Jahren haben Supermodels nackt für die Tierrechte-Organisation Peta posiert und verkündet: „Wir würden lieber nackt sein, statt Fell zu tragen“. Doch in diesem Herbst werden die Laufstege von Fell nur so überflutet werden. Im vergangenen Frühling hatte die Pelzindustrie Schätzungen gemeldet, wonach bei etwa 69 Prozent der mindestens 300 Schauen dieser Saison Fell in den Kollektion verarbeitet wird.
Diese Entwicklung ist zweierlei Einflüssen zuzuschreiben: Zum einen ermöglichen neue Verarbeitungsmethoden der Kürschner bislang unbekannte Looks. Und zum anderen bietet sich den Designern heute eine größere Auswahl an Fellen ? von Wildotter über Luchs bis zu Bisam.
Doch auch wenn der Pelz aktuell viele Desginer fasziniert, teilt sich die Mode in zwei konkurrierende Lager. Gegenüber stehen sich der reife anspruchsvoll Chic und die Fraktion „knapp und sexy“, dessen Vorbild der Westküsten Rockstar ist. Letzteren Look setzt derzeit keiner besser um als Yves Saint Laurent Paris.
Die Amerikaner sprechen bereits davon, dass sich die meisten Frauen bei der Partnersuche nicht mehr bevorzugt auf erfolgreiche Anwälte, CEOs, Unternehmer oder gar Gentlemen alter Schule stürzen. Was sie stattdessen wollen, ist ein poetischer Rockstar mit Privatflieger.
Doch genau das ist es wiederum, worüber sich viele französische Modeliebhaber bei Hedi Slimanes Kollektion für das weltberühmte Traditionshaus mit den drei stolzen Initialen YSL entrüsten. Es ist jedoch zu erwarten, dass die Entscheidungen bei Saint Laurent weiterhin von Hedi Slimane getroffen werden, der Rockstar-Chic als Markenzeichen also bestehen bleibt.
In der letzten Saison hatte Slimane denselben leicht ranzigen Dandy-Look bereits in seiner Männershow präsentiert. Mädchen wiederum mit verruchtem Schlafzimmerblick und schwarzumrandeten Augen trugen aufgeschlitzte Lederjeans, knappe Höschen, schlüpfrige Trägerkleider und Pullover mit großen Schottenmustern aus Angora-Stoff.
Nach ihren ersten wilden Jahren werden viele Designer erwachsen und wenden sich an eine neue, reifere Frau ? wobei sie trotzdem Wert auf einen gewissen Sexappeal legen. Nicht so Slimane. Seine brillante Umgestaltung der YSL-Internetseite zu einer rockigen Modeadresse sowie seine energiegeladenen Shows, haben den Altersdurchschnitt der Kunden wahrscheinlich um zehn Jahre gesenkt.
„Ich fotografiere so viele Musiker und wie du vielleicht weißt, ist Musik der Mode einige Jahre voraus. In diesem Prozess entstehen Ideen, die für meine Arbeit relevant sind,“ erzählte mir Hedi bei einem Frühstück im Juli in einem der nobelsten Restaurants in Los Angeles, der „Polo Lounge“ des Beverley Hills Hotels.
Dieser feine Treffpunkt scheint vom schludderigen Rockerimage allerdings weit entfernt zu sein. Ähnlich weit entfernt, wie der Look von Slimanes Auto im Vergleich zu seiner Kollektion. Er fährt einen Vintage Rolls Royce Cabriolet.
Das wichtigste Debüt im vergangenen Februar, als die Kollektion gezeigt wurden, die jetzt getragen werden, gab wohl Alexander Wang. François-Henri Pinault, Chef des Hauses Balenciaga, hatte den hochangesehenen und überaus einflussreichen Nicolas Ghesquière gefeuert. Und nun spielte der einstige junge Anführer der amerikanischen Sportswear-Szene, Alexander Wang, in seiner Balenciaga-Kollektion mit den klassischen Elementen des Modehauses. Zu ihnen gehört das Sack-Kleid und die berühmten Kokon-Schnitte, die Wang weitaus statuesker und strukturierter gestaltete.
Er setzte abblätternde Farbe und rissiges Leder ein und schickte Tanktops aus Fuchspelz mit grünen, eingestickten und geschorenen Marmorstrukturen ins Finale. Tatsächlich konnte Wang sogar seine schärfsten Kritiker für sich einnehmen.
Diesen Herbst werde ich mich aufmachen, um nach neuen Stars Ausschau zu halten. Wie die Marke Suno, dem Gewinner in der Kategorie „Bester Jungdesigner“ bei den diesjährigen amerikanischen Fashion Oscars „CFDA“. Gegründet wurde sie von Max Osterweis, sein Vater ist Deutscher, seine Mutter Suno Koreanerin.
Die zwei jungen Designer, die man in London zur Zeit im Auge behalten muss, sind beide irisch und haben durchaus bekannte Väter. Simone Rocha, deren „Brogues“ mit durchsichtigem Plastikabsatz die angesagtesten Schuhe aller It-Girls in London sind, ist die Tochter des Designers John Rocha.
Und Jonathan vom Label J. W. Anderson ist der Sohn des legendären Kapitäns der irischen Rugby Nationalmannschaft „Big Willie“ Anderson. Jonathan Andersons Shows fallen durch Stilüberschreitungen und den trotzigen Bruch mit maskulinen und femininen Designcodes auf.
In meiner Heimatstadt Paris sollte man sich Sacai ansehen, eine brillante japanische Marke, bei der die Mischung unerwarteter Stoffe und Stile in einem Kleidungsstück atemberaubend sind (als ich mich im Juli mit Karl Lagerfeld zum Tee traf, trug er anstelle seiner klassischen Redingote einen karierten Windbreaker von Sacai, clever kombiniert mit Schulterklappen).
Der Herbst wird für viele Redakteure voraussichtlich eine Zeit des Fernreisens, da sich viele Marken mit riesigen Events weltweit in neuen Märkten etablieren wollen. Dior zeigt in China eine retrospektivische Laufsteg-Show unter Leitung von Raf Simons, der bereits in diesem Sommer einen wichtigen Sieg errang: Bei den Filmfestpielen in Cannes war Dior das beliebteste Modelabel der Stars.
Grad war ich in Los Angeles, wo Hermès auf dem Rodeo Drive eine riesige, neue Boutique eröffnet hat ? Gerüchte besagen, allein der Wert des Grundstücks liege bei 75 Millionen Dollar. Im November wird sich die Modeszene nach Shanghai begeben, wo die Eröffnung der Flagship-Boutique des Giganten Valentino bevorsteht, und das Designer-Duo Pierpaolo Piccioli und Maria Grazia Chiuri ihre Herbstkollektion neu inszenieren wird.
Eine Woche später werde ich in Tokio landen, wo Max Mara eine Eröffnung im Stadtteil Ginza plant, verbunden mit einem Auftritt der englischen Sängerin Paloma Faith in einem Sumo-Stadion. Und wenn der Winter beginnt, begebe ich mich auf eine von mir mit Spannung erwartete Pilgerfahrt in die Hauptstadt des amerikanischen Konsums, nach Dallas, zu Chanel.
Das Modehaus wird Karls aktuellen Film zeigen, in dem Geraldine Chaplin die Rolle der Coco spielt und seine nächste Métiers d’Art-Kollektion aufführen, für die Schneiderinnen und Handwerksateliers Jahr für Jahr Höchstleistungen bringen .
„Ich liebe Texas und die Texaner! Die Atmosphäre dort. Und Lynn Wyatt ist eine meiner weltweiten Lieblingspersonen,“ sagte Lagerfeld über die Ortswahl. Eine geschickte Wahl. Schließlich spielte dort eine legendäre Fernsehserie, deren Darstellerinnen Vorbild wurden für Heerscharen von knallharten, verführerischen und sexuell hemmungslosen Frauen. Eben wie die Mode in diesem Herbst!
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