Memento mori: Besser sterben mit Caitlin Doughty

Die Bestattungsunternehmerin Caitlin Doughty macht sich als für einen „guten Tod“ stark. Auf YouTube klärt sie in lustigen Videos all die offenen Fragen rund um das Ende unseres Lebens. Von

Kaum einer, der sich nicht einen selbstbestimmten, aufgeklärten und irgendwie bedeutungsvollen Tod wünschte. Den wenigsten jedoch ist er vergönnt. Das will Caitlin Doughty, 28, ändern. In der YouTube-Videoserie „Ask Your Mortician“ („Frag deine Bestatterin“) beantwortet sie Zuschauerfragen rund ums Thema.

Mit dem „Orden des guten Todes“ setzt sich die in Los Angeles ansässige studierte Historikerin, gelernte Bestatterin und hippe „Deathxpertin“ gemeinsam mit einem Netzwerk aus Wissenschaftlern und Autoren dafür ein, dass wir anders mit unserem Lebensende umgehen als bislang.

Die Welt: Halten Sie es für möglich, dass jemand gar keine Angst vor dem Tod hat?

Caitlin Doughty: Ich betrachte mich selbst als jemanden, der sich sehr wenig vor dem Tod ängstigt. Das heißt nicht, dass ich waghalsig mit dem Auto herumrase. Ich versuche tagtäglich am Leben zu bleiben, hehe. Aber ich fürchte mich nicht davor, was auf der anderen Seite passiert, im Angesicht des Todes zu verzweifeln oder dass ich alle meine Lieben vermissen werde. Dahin bin ich aber nur durch harte Arbeit gelangt ? ich habe diese Fragen für mich geklärt.

Die Welt: Wie das?

Doughty: Ich habe viel über den Tod, und die Bestattungsindustrie gelesen. Außerdem arbeite ich täglich mit Toten und sehe, wie absolut tot sie sind. Sie leiden nicht.

Die Welt: Ausschlaggebend war Ihre erste Begegnung mit dem Tod als sie acht Jahren alt waren.

Doughty: Ich habe damals gesehen, wie ein Mädchen aus dem zweiten Stockwerk eines Einkaufszentrums fiel. Und mutmaßlich starb. Das war ein traumatisches Erlebnis, ich hatte daraufhin eine Zeit lang große Angst vor dem Tod. Aber je mehr du dich mit ihm beschäftigst und je mehr du über ihn weißt, desto besser kannst du mit der Angst umgehen. Nur sprechen wir nicht über den Tod, dazu fehlt es uns oft einfach an Informationen ? und an Offenheit. Dabei wollen die meisten dringend sprechen, wenn sie mit einem Todesfall umgehen müssen.

Die Welt: Ihre Eltern sprachen damals nicht mit Ihnen. Ohne Erklärungen malen sich Kinder jedoch die wildesten, morbidesten Sachen aus.

Doughty: Das kann bei Erwachsenen genauso sein, das ist ganz normal. Es ist nun mal so: Wir werden sterben, egal was wir tun. Dieses Wissen werden wir nicht los. Ich glaube, in vielen Fällen wollen sich Leute durchaus mit ihrem Tod beschäftigen, aber die Gesellschaft, in der sie leben, signalisiert ihnen, dass das falsch, schmutzig oder abartig ist. Genauso ist es mit Sex. Wenn dir jemand sagt: „Denk bloß nicht an Sex, denn das ist schmutzig und falsch!“ wird das dein Verhalten selbstverständlich beeinflussen.

Die Welt: Ist Angst der einzige Grund für unser Schweigen oder hat es nicht auch damit zu tun, dass der Tod in unserem Leben einfach nicht vorgesehen ist?

Doughty: Beides. Es gibt und gab keine einzige Kultur auf der Welt, in der die Menschen sagen: „Och, der Tod. Na ja, egal.“ Aber an vielen Orten auf der Welt pflegen die Leute einen sehr viel gesünderen Umgang mit der Vergänglichkeit als in der westlichen Welt. Im 19. Jahrhundert hatten wir noch Trauerrituale. Man trug für eine gewisse Zeit schwarze Kleidung oder hing ein farbiges Band an seine Haustür ? Dinge, die gleichzeitig signalisierten und erlaubten, dass man trauerte. Viele halten Rituale sicher für überholt. Aber wenn jemand stirbt, den wir lieben, stürzt uns das in ein mentales und oft auch ganz praktisches Chaos. Ein Leitfaden, der einem Schritt für Schritt sagt, was zu tun ist, und für jeden dieser Schritte eine Bedeutung liefert, kann unglaublich tröstlich sein. Heute wird erwartet, dass du dein Leben weiterlebst und im Sinne aller anderen tust, als sei nichts gewesen.

Die Welt: In der neuesten Auflage des „Diagnostischen und Statistischen Handbuchs Psychischer Störungen“ steht, dass man sich zwei Wochen nach dem Tod eines nahen Angehörigen langsam mal wieder zusammenreißen können sollte.

Doughty: Wenn du eine wirkliche emotionale Verbindung zu der verstorbenen Person hattest, dauert es dein Leben lang, bis du darüber hinwegkommst. Wenn man nach einem Monat nicht aus dem Bett kommt, sollte man vielleicht darüber nachdenken, sich Hilfe zu suchen. Aber Trauern geht nicht nach Zeitplan.

Die Welt: In Japan dauert das nach sehr genauen Regeln ablaufende Trauerritual mehrere Wochen. Kann so etwas helfen?

Doughty: Das ist eine interessante Frage, auf die vermutlich niemand eine letztgültige Antwort hat. Viele halten Rituale sicher für überholt. Aber wenn jemand, den wir lieben, stirbt, stürzt uns das in ein mentales und oft auch ganz praktisches Chaos. Ein Leitfaden, der uns sagt, was in diesem Fall zu tun ist, Schritt für Schritt, und für jeden dieser Schritte eine Bedeutung liefert ? das kann unglaublich tröstlich sein. Auch weil sich dann das Gefühl einstellt, wirklich mit dem Verlust umzugehen, anstatt dass uns die tote Person einfach entzogen und verbrannt wird und wir sie nie wieder sehen.

Die Welt: Sie lassen sich von geliebten Menschen Haarsträhnen geben. Warum?

Doughty: Das ist ein aus der Mode geratener Brauch, der weder morbide noch seltsam ist. Die Strähnen sind für mich Relikte, sie repräsentieren die jeweilige Person Wenn der Moment dann gekommen ist, sind sie Werkzeuge meiner Trauerarbeit.

Die Welt: Viele bestürzt, wie standardisiert und effizient eine Beerdigung abläuft.

Doughty: In den meisten industrialisierten Ländern wurde den Familien der Tod irgendwann weggenommen und der Kirche überantwortet. Durch die Säkularisierung wurde das Ganze zu einem Teil der kapitalistischen Industrie, die behauptet: Tote kann man nur an bestimmten Plätzen begraben, jemand Professionelles muss sich um sie kümmern, Leichen sind gefährlich. Was alles nicht stimmt, aber dazu geführt hat, dass uns dieser Kontrollverlust als die einzig gangbare Lösung erscheint. Leichen sind aber nicht gefährlich. Im Gegenteil: In Gesellschaft eines Toten ist man meistens sogar sicherer als in der eines Lebenden.

Sie gehen das ganze Thema ziemlich lustig an. Besonders in ihrer Internetserie „Ask your Mortician“.

Doughty: Ich versuche meine kleine Show humorvoll zu gestalten, weil ich glaube, dass sie sonst niemand schauen würde. Ich möchte über den Tod informieren, muss aber gegen Milliarden von süßen, lustigen Katzenvideos ankommen. Also müssen meine Filmchen so gemacht sein, dass sie erträglich sind ? oder sogar richtig komisch.

Die Welt: Genau das scheint manche Menschen zu erzürnen.

Doughty: Die meisten sind viel offener als ich Anfangs dachte. Wenn sich jemand mal richtig angegriffen fühlt, stammt er oder sie höchstwahrscheinlich aus meiner Branche und ist der Meinung, dass alles, worüber ich spreche, geheim gehalten werden sollte. Weil die Leute sonst wollen könnten, dass sich etwas ändert.

Die Welt: In Ihrer Heimat ist das Einbalsamieren sehr populär.

Doughty: Ja, in Nordamerika werden weit mehr als die Hälfte aller Toten einbalsamiert. Unglücklicherweise breitet sich das auch in Europa immer mehr aus. Ich glaube, dass das Konservieren einer Leiche meist dazu dient, den Tod zu leugnen. Man versucht, den Körper bis in alle Ewigkeit frisch zu erhalten. Er wird ja trotzdem zersetzt, nur auf eine sonderbare Art und Weise ? er mumifiziert.

Die Welt: Sind Sie denn für offene Särge?

Doughty: Ich bin sehr dafür, dass die Trauernden den Toten noch einmal sehen können, aber er sollte dann auch tot aussehen. Und nicht, als würde er völlig überschminkt ein Schläfchen halten.

Die Welt: Was halten Sie von neuesten technischen Entwicklungen wie Bildschirmen und QR-Codes auf Grabsteinen?

Doughty: Ich persönlich bin nicht unbedingt der Meinung, dass wir auf diesem Feld noch mehr Technik benötigen, die uns den Tod leugnen lassen. Er sollte vielleicht der eine Moment in unserem Leben sein, in dem wir ohne all den Kram auskommen und uns ehrlich mit unserem Menschsein auseinandersetzen.

Die Welt: Kennen Sie den Twitter-Account „Bored at a Funeral“, der Tweets von jungen Leuten sammelt, die sich auf einer Beerdigung langweilen?

Doughty: Oh, wirklich? Nein, den kenne ich nicht.

Die Welt: Ist das jugendliche Unbedarftheit oder ein Abwehrmechanismus?

Doughty: Wenn jemand von einer Beerdigung nur „Blablabla, alter Mensch, tot“ mitnimmt, handelt es sich um eine schlechte Veranstaltung. Eine wirklich gute, erfolgreiche Beerdigung zeigt dir nicht nur, dass jemand gestorben ist. Sie verdeutlicht dir, dass du selbst auch sterben wirst.

Die Welt: Was kann ich heute tun, um nicht komplett am Boden zerstört zu sein, wenn jemand mir Nahestehendes stirbt?

Doughty: Es wird in jedem Fall schrecklich werden, da können Sie gar nichts tun. Aber Sie können heute anfangen, sich all die großen Fragen zu stellen: Warum müssen Menschen sterben? Was bedeutet das? Werde ich auch eines Tages sterben? Sprechen Sie mit derjenigen Person darüber und versuchen Sie sich vorzustellen, wie sich das anfühlen wird. Und wenn der Mensch dann wirklich sterben sollte, sind Sie hoffentlich fähig, sich auf diesen einen Tod zu konzentrieren.

Die Welt: Ein Rat für Leute, die mit einem Trauernden umgehen?

Doughty: Niemand will in der Situation hören, dass bald alles bald wieder gut wird oder wie es dir ging, als deine Mutter gestorben ist. Niemand will hören, wie man richtig trauert. Biete deine Hilfe an, sei einfach nur da und lasse demjenigen die Zeit, die er oder sie eben braucht.

Die Welt: Würden Sie Freunde und Verwandte bestatten?

Doughty: Die meisten meiner Freunde fragen mich, ob ich sie bestatten würde. Das ist ein großes Kompliment. Ich sage selbstverständlich ja und hoffe, dass das der Anfang eines langen Gesprächs ist.

Die Welt: Wie möchten Sie bestattet weden?

Doughty:Wenn ich es mir aussuchen könnte:, gar nicht. Ich würde gern auf dem Waldboden liegen bleiben und von anderen Tieren aufgefressen werden.

Die Welt: Ihre Wünsche für die Zukunft?

Doughty: Politiker, Wissenschaftler und Ingenieure sollten sich für den Tod interessieren. Denn er hat einen enormen Einfluss darauf, wie wir in unserer Kultur leben. Alle ? auch Kinder und Jugendliche – sollten mit ihrem Lebensende auseinandersetzen und begreifen, welche Rolle der Tod in unserem Leben spielt. Sie sollten ihn ernst nehmen und sich überlegen, was einmal mit ihrem Körper passieren soll. Jeder von uns sollte sich vorbereiten. Ein guter Tod beginnt früh im Leben.

Im Internet beantwortet sie in Videos Fragen zum Thema Tod

Foto: Caitlin Doughty Im Internet beantwortet sie in Videos Fragen zum Thema Tod

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