Deutsche Küche: Echte Hausmannskost auf vegetarisch

Gründe, Vegetarier zu sein oder zu werden, gibt es viele. Zwei davon, die vergleichsweise selten genannt werden, sind die Freude an gutem Essen und die Begeisterung für traditionelle Gerichte. Und doch waren es genau diese beiden, die den Autor Stevan Paul dazu bewogen haben, althergebrachte und fleischlose Speisen aus ganz Deutschland aufzuspüren und in seinem neuen Buch „Deutschland Vegetarisch“ zusammenzufassen. Geordnet nach Jahreszeiten präsentiert der gelernte Koch darin eine Sammlung von nur vereinzelt abgeänderten Rezepten, die wunderbar belegen, dass sich die deutsche Küche sehr gut darin versteht, ohne Fleisch auszukommen. Und dass man selbst an den zahlreichen fleischlosen Tagen vergangener Zeiten auch hierzulande alles andere als genussfeindlich lebte.

Welt am Sonntag: Herr Paul, Sie sind kein Vegetarier und haben dennoch ein vegetarisches Kochbuch geschrieben. Warum? Etwa deswegen, weil Vegetarismus und vegetarische Kochbücher zurzeit gar so stark im Trend liegen?

Stevan Paul: Also es stimmt, dass ich kein Vegetarier bin. Aber ich finde den vegetarischen Gedanken sehr wichtig und glaube, es würde Sinn haben, weniger Fleisch zu essen. Nur kann man den Menschen nicht sagen, esst weniger Fleisch, und sie dann im Flur stehen lassen, sondern muss ihnen Tipps geben, wie sie auch ohne Fisch und Fleisch genussvoll essen können. Außerdem erkenne ich im Vegetarismus schon lange keinen Trend mehr, sondern etwas, das zukunftsweisend ist und in unsere Alltagskultur einfließen sollte ? was zum Teil schon passiert ist.

Welt am Sonntag: Was ist denn so wichtig am vegetarischen Gedanken?

Paul: Wichtig ist der Gedanke im Sinne von Nachhaltigkeit und Umweltschutz, aber vor allem, weil wir damit vielleicht wegkommen könnten von dieser furchtbaren Massentierhaltung, die nur schlechtes Billigfleisch erzeugt. Das braucht doch kein Mensch.

Welt am Sonntag: Aber Massentierhaltung gibt es ja auch für Legehühner und Milchkühe, also wäre es in diesem Sinne doch konsequent, auch auf Eier und Milch zu verzichten und Veganer zu werden. Oder aber ein veganes Kochbuch zu schreiben.

Paul: Da haben Sie schon recht. Aber jede kleine Schraube, die man dreht, ist hilfreich, man kann doch nicht, nur weil im Gesamten sowieso alles so schwierig wird, einfach sagen: Na gut, machen wir gar nichts und einfach so weiter wie bisher.

Welt am Sonntag: Stimmt. Nur können Sie das einem Veganer kaum vorwerfen.

Paul: Ich muss zugeben, dass ich mir mit Veganismus etwas schwertue. Ich bin Koch, Kulinariker und Genießer, da ist der Veganismus nicht unbedingt eine Lebensform, in der ich mich sehr wohlfühle. Noch dazu, wo er oft sehr ideologisiert daherkommt. Mit vegetarischer Küche habe ich mich aber schon länger auseinandergesetzt, habe eine App mit vegetarischen Gerichten namens „go veggie“ herausgebracht und als Autor an Tim Mälzers vegetarischem Kochbuch „Greenbox“ mitgearbeitet.

Welt am Sonntag: Und wie sind Sie auf die Idee gekommen, die vegetarischen Gerichte in der klassischen deutschen Küche zu suchen? Etwa deswegen, weil auch die Heimatküche im Trend liegt und sie so zwei Trends mit einem Streich bedienen konnten?

Paul: (lacht) Es hat eben alles seine Zeit. Auch mit deutscher Küche beschäftige ich mich schon seit Längerem. Seit vielen Jahren etwa schreibe ich eine Kolumne für das Magazin „Effilee“, die sich Herrn Paulsens Deutschstunde nennt, in der ich Gerichte der deutschen Küche erforsche. Und erkläre, wie sie gemacht werden und wo sie herkommen. Ich war also einfach der richtige Mann für die Aufgabe. (lacht)

Welt am Sonntag: Bei deutscher Küche denkt man aber nicht unbedingt an fleischlose Gerichte. Also woher die Idee?

Paul: Katharina Seiser, die Herausgeberin des Buchs, hat bereits im Vorjahr zusammen mit dem Koch Meinrad Neunkirchner ein Buch mit dem Titel „Österreich vegetarisch“ herausgegeben. Das habe ich mir sofort gekauft, war davon begeistert und dachte mir: Mensch, die Österreicher haben’s drauf, das müsste man hier auch machen. Denn wenn es bei uns um fleischlose Ernährung geht, dann kommt immer sehr schnell die asiatische oder die indische Küche ins Spiel, was zwar sehr schön ist. Aber wir haben doch auch eine wunderbare Küche, die sehr, sehr lange überwiegend vegetarisch war und für die wir uns nicht zu verstecken brauchen.

Welt am Sonntag: Es gibt also tatsächlich so etwas wie eine traditionelle vegetarische Küche in Deutschland?

Paul: Erstaunlicherweise ja. Ich konnte es anfangs auch nicht glauben, hatte aber dann sehr großen Spaß daran, solche Gerichte aus den Archiven herauszusuchen und zusammenzufassen. Denn diese Fleisch- und Wurstküche, mit der man die deutsche Küche allgemein, aber auch und vor allem im Ausland in Verbindung bringt, ist in Wahrheit erst in den 50er- und 60er-Jahren entstanden, bis dahin waren wir ein Armeleuteland mit Bergbau, Landwirtschaft, etwas Fischerei. Und dazu mit einer Armeleuteküche, in der Fleisch ? mit Ausnahme von Speck, der immer wieder auftaucht ? eine reine Sonntagsangelegenheit war. Dementsprechend groß war auch der Schatz, auf den ich gestoßen bin.

Welt am Sonntag: Nun könnte man annehmen, dass sich davon vieles für den heutigen Geschmack nicht so sehr eignet. Oder doch?

Paul: Es stimmt, dass ich einiges etwas verändern musste, um es ein wenig schlanker zu machen und an den Geschmack von heute anzupassen. Aber natürlich habe ich schon auch gerne in Butter und Sahne gebadet. Also den warmen, würzigen Geist der deutschen Küche bewahrt und nur dort Veränderungen angebracht, wo ich es für wichtig und richtig empfand.

Welt am Sonntag: Beim Labskaus aber haben Sie gleich völlig auf Fisch und Fleisch verzichtet.

Paul: Ja, das stimmt, da habe ich mir etwas mehr Freiheit erlaubt. Die Heringe fanden schon die Matrosen blöd, und das Fleisch habe ich auch weggelassen. Dafür war das Resultat wirklich erstaunlich. Zudem muss man sagen, dass es so etwas wie ein Originalrezept für sehr viele dieser alten Gerichte gar nicht gibt, sondern dass in den meisten Fällen jeder Koch und jeder Haushalt seine eigene Interpretation hat. Diese Rezepte sind lebendig und unterstehen seit jeher dem Wandel der Zeit, also habe auch ich Veränderungen angebracht.

Welt am Sonntag: Sind Ihnen bei Ihren Recherchen viele regionale Unterschiede aufgefallen?

Paul: Also meistens hat sich herausgestellt, dass es da gar nicht so sehr um Regionalität geht. Viel eher strahlen diese Gerichte über die Regionen nach außen. Wie zum Beispiel der Reibekuchen, den sich die Rheinländer so gerne auf die Fahne schreiben. Den gibt es in Wahrheit überall. Genau wie etwa die Steckrüben und viele andere Dinge. Da sind die Unterschiede eher marginal.

Welt am Sonntag: Was in Ihrem Buch auffällt, ist eine Fülle von humorvollen Bezeichnungen, wie etwa der Große Hans, eine Art Pudding, oder die Errötende Jungfrau, eine Beerenspeise, oder auch der Eintopf Pitter und Jupp. Haben Sie versucht herauszufinden, wie diese Namen entstanden sind?

Paul: Ja, das habe ich. Es ist aber ein recht schwieriges Unterfangen. Bei dem Pitter und Jupp, also Peter und Josef, habe ich sehr viele Kölner gefragt, ob sie eine Ahnung hätten, woher der Name kommt, aber keiner wusste es. Also nehmen wir an, dass es sich schlicht um zwei Allerweltsnamen handelt, die einfach gut passen zu so einem Allerweltseintopf aus Möhren und Rüben. In jedem Fall liegt da noch sehr viel im Dunkeln.

Welt am Sonntag: Und die Laubfrösche?

Paul: Dabei handelt es sich um ein wunderbares schwäbisches Gericht, nämlich Wickeln aus Mangold- und Spinatblättern, die mit Zwiebeln, Kräutern und Brot gefüllt werden. Wir organisieren bald eine Reise durch Deutschland, um das Buch zu präsentieren, und werden da in verschiedensten Lokalen haltmachen. Die jeweiligen Köche habe ich gebeten, sich Gerichte aus dem Buch auszusuchen, dabei haben erstaunlich viele von ihnen auf die Laubfrösche zurückgegriffen.

Welt am Sonntag: Welches Gericht hat Sie bei Ihrer Recherche am meisten erstaunt ? oder am stärksten beeindruckt?

Paul: Das waren vermutlich die Krautschnitzel von Clara Ebert. Dabei handelt es sich um ein richtiges Männergericht, wie ich sagen würde. Nämlich eine sehr würzige Roulade, die an den Bremer Knipp oder den rheinischen Pfannenschlag erinnern, durchwegs also an deftige Fleischgerichte, die Clara Ebert hier ganz ohne Fleisch hinkriegt. Sie war überhaupt eine tolle Frau. 1929 hat sie das erste vegetarische Kochbuch Deutschlands herausgebracht: „Die Küche der Zukunft auf fleischloser Grundlage“. Das hat mich wirklich fasziniert, wie mir diese junge, vegetarische Haushälterin über die Jahrzehnte hinweg die Hand reicht und mir ein so fantastisches Gericht in die Pfanne zaubert.

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