Mensaprojekt: Ein dreigängiges Sternemenü für nur 5 Euro

Es ist die wohl beste Mensa der Welt: An der Slow-Food-Universität im italienischen Bra verpflegen einige der bekanntesten Spitzenköche die Studenten ? weil sie dort selbst noch etwas lernen können. Von

Die 29-jährige Jacqueline Blazer kann ihr Glück kaum fassen. Gemeinsam mit zwei weiteren Studenten wurde die Tübingerin dazu auserkoren, in der Küche der Universitätsmensa zu assistieren. Nun hört sich das zunächst nicht gerade wie ein Glücksfall ersten Ranges an ? wäre es nicht eine ganz außergewöhnliche Mensa, um die es hier geht. „Es ist die beste Mensa der Welt“, sagt Carlo Petrini mit einem Gesichtsausdruck und einer großen Geste, die unterstreichen sollen, dass Widerspruch zwecklos ist. Und tatsächlich ist es in diesem Fall äußerst schwer, dem charismatischen Präsidenten und Gründer der Slow-Food-Bewegung zu widersprechen.

Petrini hat ein neues Projekt vom Stapel gelassen: Seit dem Frühjahrssemester 2013 verfügt die kleine Slow-Food-eigene Universität im piemontesischen Städtchen Bra, 50 Kilometer von Turin, über eine neue Mensa, in der im Laufe des Jahres einige der besten und renommiertesten Köche der Welt die Studentenschaft bekochen werden.

Nun ist freilich auch die staatlich anerkannte Universität für Gastronomische Wissenschaften selbst ziemlich außergewöhnlich, war sie doch bei ihrer Eröffnung im Jahr 2005 die erste weltweit, die sich auf rein akademische Weise beschäftigte mit den Themen Essen und Trinken in Verbindung mit nachhaltiger Lebensmittelproduktion und Ernährungswissenschaft. Kochen stand also damals wie heute gar nicht auf dem Lehrplan. „Ich bin auch nicht hergekommen, um Kochen zu lernen, oder gar, um später einmal als Köchin zu arbeiten“, sagt deswegen auch Jacqueline Blazer, die zuvor kulturelle Anthropologie in Amsterdam studiert hat, „sondern um einen Masterkurs in Lebensmittelkultur, Kommunikation und nachhaltiger Gastronomie zu belegen“.

26 Küchenchefs aus aller Welt

Doch wäre es wohl kein Wunder, würde sie ihre Pläne noch ändern ? angesichts der Persönlichkeiten, mit denen sie in den nächsten Wochen und Monaten zusammenarbeiten wird. „Alles in allem sind es in diesem Jahr 26 Küchenchefs aus aller Welt, die hier abwechselnd kochen werden“, sagt Carlo Petrini und beginnt Namen aufzuzählen, die anschaulich belegen, wie gut vernetzt der Präsident von Slow Food in der Welt der Spitzengastronomie ist.

Den Reigen eröffnet hat im Frühjahr der Italiener Davide Scabin vom Zweisternerestaurant „Combal.Zero“ in Rivoli bei Turin. Ihm folgten im Juni der baskische Superstar Andoni Luis Aduriz, dessen Restaurant „Mugaritz“ auf der Pellegrino-Liste als drittbestes Restaurants der Welt geführt wird; und im Juli Marc Haeberlin, der in seinem Traditionshaus „Auberge de l’Ill“ im elsässischen Illhaeusern drei Sterne hält, die sein Vater schon 1967 erkochte.

Weitere Spitzenköche aus Italien und dem Ausland werden sich im Laufe des Herbstsemesters abwechseln. Als einer der ersten ist der Italiener Antonio Santini an der Reihe, dessen „Dal Pescatore“ in Canneto sull’Oglio bei Mantua mit drei Sternen vielen als bestes Restaurant des Landes gilt. Danach rückt der brasilianische Durchstarter Alex Atala aus São Paolo an, der mit seiner Amazonas-Küche bereits weltweites Aufsehen erregt. Und schließlich werden auch noch regelrechte Legenden aus der Welt der Gastronomie erwartet, wie etwa die Pionierin des Kochens mit lokalen Lebensmitteln, die Kalifornierin Alice Waters, oder sogar der Vater der Molekularküche, der Spanier Ferran Adrià, der seine selbst auferlegte zweijährige Pause im November für eine Woche unterbrechen wird, um in der Uni-Mensa am Herd zu stehen.

Wenn Carlo Petrini ruft, kommen sie alle

Unter den Gastköchen findet sich auch Giorgio Locatelli, dessen Michelin-besternte „Locanda Locatelli“ viele für das beste italienische Restaurant Londons halten. Und der sich zudem einen Namen gemacht hat als Kochbuch-Bestsellerautor, TV-Koch und Kolumnist der britischen Tageszeitung „The Guardian“. „Warum ich hergekommen bin? Na weil mein Freund Carlo Petrini gerufen hat!“, sagt Locatelli und legt lachend den Arm um die Schulter des Genannten, „und weil ich das Gefühl habe, dass ich hier selbst etwas lernen kann aus der Herausforderung.“

Diese bestehe darin, den Studenten ein dreigängiges Menü zu bieten, das zum einen weniger als fünf Euro kostet, und zum anderen aus lokalen und nachhaltig erzeugten Lebensmitteln zubereitet wird, erklärt Petrini. „Dabei legen wir viel Wert darauf, dass die Zutaten gemäß der Slow-Food-Philosophie gut, sauber und fair sind und in der Küche so wenig Abfall wie möglich anfällt“, fügt der Slow-Food-Präsident hinzu. Und das ist oft alles andere als einfach. „In der Woche, bevor sie eintreffen, schicken uns die Köche ihre Vorschläge, damit wir die Zutaten einkaufen und bestellen können“, sagt Jacqueline Blazer, „da müssen wir oft bereits Änderungen vornehmen, weil es die Produkte hier gar nicht gibt, oder aber sie in Italien viel zu teuer sind.“

So hatte der gebürtige Italiener Locatelli auf seinen Wunschzettel etwa frischen Kabeljau geschrieben, was offenbar gar nicht geht, und von Blazer deswegen kurzerhand durch billigere und weniger überfischte Makrelen ersetzt wurde. „Sorry, aber ich lebe und arbeite seit über 20 Jahren im Ausland und war mir tatsächlich nicht bewusst, dass Kabeljau in Italien fast das Dreifache dessen kostet, was wir in England dafür zahlen“, entschuldigt sich Locatelli.

Der Speisesaal ist eher spartanisch eingerichtet

Untergebracht ist die Universität für Gastronomische Wissenschaften in einem prachtvoll renovierten neugotischen Gebäudekomplex aus dem 19. Jahrhundert, der zum Unesco-Weltkulturerbe zählt. In einem Teil davon, den ehemaligen Stallungen, also genau dort, wo bis Ende letzten Jahres das Sternerestaurant „Guido“ seine Gäste empfing, befindet sich auch die Mensa. Als das „Guido“ in ein ehemaliges Jagdschloss übersiedelte, wurde die luxuriöse Ausstattung seines Speisesaals zum großen Teil entfernt, die komfortablen Sessel und runden Tische wichen spartanischen Stühlen und langen Tischreihen. Die Küche samt Einrichtung hingegen blieb weitgehend unverändert.

„Sie ist komplett ausgestattet und so geplant worden, dass auch Hochzeiten und andere Großveranstaltungen bekocht werden können“, sagt Gastro-Studentin Blazer und führt durch die weitläufige und chromblitzende Küche, wo sich der Starkoch aus London bereits seinen Arbeitsplatz einrichtet. Nein, sagt Carlo Petrini, Problem sei es überhaupt keins gewesen, die ganzen Superstars von einer Teilnahme an dem Projekt zu überzeugen ? auch wenn diese gänzlich unbezahlt ist, und die Köche lediglich freie Kost und Logis erhalten.

„Erst vor Kurzem war ich bei der Verleihung einer Kochtrophäe in Lyon und habe dort mit weiteren Küchenchefs gesprochen, wie etwa dem Franzosen Michel Bras und dem Dänen René Redzepi, sie alle wollen mitmachen“, freut sich der Slow-Food-Präsident, der in Bezug auf das Projekt auch gerne von Öko-Gastronomie spricht, worunter er versteht, so umweltfreundlich wie möglich zu arbeiten, wenig Energie zu verbrauchen und vor allem Abfall zu vermeiden. „Ich denke, die Spitzenköche reizt einfach die Herausforderung, mit Lebensmitteln anders umzugehen, als sie es gewohnt sind, und dabei ihre Arbeit mit zusätzlicher Bedeutung zu erfüllen“, sagt Petrini. Damit nicht für die Mülltonne gekocht wird, wurde ein recht kompliziertes Anmeldesystem entwickelt, über das die Studenten ihre Plätze im Voraus reservieren müssen. So weiß die Küche im Voraus, welche Mengen sie einkaufen muss und wie viele Portionen sie zu kochen hat.

Zutritt nur mit Reservierung

An diesem Tag stehen zur Auswahl Casarecce, also halblange Nudeln mit Tomatensauce, die, je nach Wunsch, mit oder ohne Makrele serviert werden, sowie Kaninchen mit Oliven in Weißwein, oder aber eine Ratatouille aus Rüben mit Paprikacreme für jene, die kein Fleisch wollen. Und danach Tiramisu im Glas.

Der Speisesaal beginnt sich langsam zu füllen, am Eingang wird genau kontrolliert, wer eine Reservierung vorweisen kann und wer nicht. Locatelli bringt selbst seine Töpfe aus der Küche zur Ausgabe. 120 Essen hat er heute vorbereitet. „Es ist eben eine sehr kleine Universität“, sagt er, „aber wenn die Rechnung aufgeht, wäre der Beweis erbracht, dass eine qualitätsvolle, gesunde Kantinenküche zu solchen Preisen und mit Respekt vor dem Lebensmittel überhaupt machbar ist. Und das Projekt könnte anderenorts und im größeren Rahmen wiederholt werden.“

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